Selbstverständnis

Dieses Selbstverständnis wurde vom Vorderhaus der G19 erarbeitet und wird im stetigen Prozess diskutiert und weiterentwickelt.

Seit der Besetzung im Jahr 2010 existiert in der Gartenstraße 19 ein kleiner selbstverwalteter Ort namens G19. Dieser wurde über viele Jahre hinweg von unterschiedlichen Menschen besetzt, belebt und selbstverwaltet genutzt. Seit Herbst 2020 wird der Raum wieder belebt, renoviert und neu umstrukturiert. In diesem Prozess entstand auch dieses Selbstverständnis, welches ein Versuch ist, unsere Vorstellungen und Werte für den Ort zu formulieren. Es soll eine Basis schaffen mit Aspekten, die einen konstanten Grund schaffen und anderen, die zur Diskussion und Weiterentwicklung einladen und von uns dynamisch und veränderbar gestalten und reflektiert werden. Auch enthält dieses Selbstverständnis gemeinsam entwickelte Regeln, die dazu dienen, Grundsätze umzusetzen und eine für alle sicherere Umgebung zu ermöglichen.

1. Unsere Werte
Wir – das sind alle Gruppen und Individuen, die Grundsätze dieses Selbstverständnisses teilen und die G19 in unterschiedlicher Weise nutzen, gestalten und strukturieren. Zusammen möchten wir einen selbstverwalteten, herrschaftskritischen, vernetzenden und solidarischen Ort gestalten. Bestehende Diskriminierungs- und Machtverhältnisse möchten wir reflektieren und abbauen. Das bedeutet, dass bei uns rassistisches(1), antisemitisches(2), antifeministisches(3), sexistisches(4), queer-und trans*feindliches(5), ableistisches(6), faschistisches(7) und anderes diskriminierendes Denken und Handeln keinen Platz hat.

Die G19 verstehen wir dabei als anarchistischen Lern-, Vernetzungs-, Rückzugs- und Begegnungsraum, der dazu einlädt, sich nach eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten einzubringen. In der Vergangenheit wurden wir oft als „Freiraum“ betitelt, dies möchten wir jedoch vermeiden, da er verschiedene Inhalte suggeriert, von denen wir uns distanzieren:

Wir sind nicht frei für alle und jegliches Verhalten!
Unser Raum ist nicht für alle da. Menschen, die sich in unseren Werten sowie Umgangsformen nicht wiederfinden können, sind in der G19 nicht willkommen. Ein solidarisches, diskriminierungsfreies und hierarchiearmes Miteinander bedeutet für uns mehr als nur platte Phrasen. Wir wollen gemeinsam einen sicheren Raum gestalten. Das heißt auch, Menschen, die andere gefährden oder übergriffiges Verhalten an den Tag legen, auszuschließen.

Wir sind nicht frei von gesellschaftlichen Bedingungen! 
Zwar versuchen wir uns durch anarchistische Grundsätze und Organisierung von vielen Zwängen und Hierarchien zu befreien, dennoch sind wir nicht frei davon. Wir sind stets eingebettet in gesellschaftliche Strukturen. Diese sind bestimmt von Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnissen von denen wir nicht frei sind, sondern die auch unsere eigenen Verhaltensweisen und Räume prägen. Denn:

Wir sind alle nicht frei von Fehlern!
Kein Mensch ist perfekt und fehlerfrei. Wir alle sind in dieser Gesellschaft aufgewachsen und haben problematische Verhaltenswesen gelernt. Wir wollen uns gegenseitig unterstützen bei der Sensibilisierung für gesellschaftliche Diskriminierungsformen und Herarchien und gemeinsam lernen. Dabei wollen wir auch offen für alle sein, die sich noch nicht so viel damit auseinandergesetzt haben, aber Lust haben mehr darüber zu lernen. 

Ziel ist deshalb weniger ein freier, sondern vielmehr einen awarer* Raum, in dem wir Befreiung als stetigen Prozess erachten, in dem wir uns gegenseitig solidarisch und kritisch begegnen und unsere eigenen gesellschaftlichen Positionierungen, Privilegien und Handeln reflektieren. Dabei wollen wir uns in neuen Verhaltensweisen üben und unterstützen. Wir hoffen, dass Menschen sich dadurch in der G19 zumindest etwas freier und vor allem sicherer fühlen können, als an vielen anderen Orten, die uns die Gesellschaft sonst so bietet.

*Aware = Achstamer, rücksichtsvoller Umgang mit den Bedürfnissen und Grenzen anderer Menschen als Maßstab. Wir orientieren uns daran, dass Menschen unterschiedlich betroffen von gesellschaftlichen Unterdrückungsfaktoren sind. In Abhängigkeit dazu und zu unseren persönlichen Erfahrungen erleben wir Situationen unterschiedlich. Zur Orientierung brauchen wir deswegen in diesem Raum sowohl eine gemeinsame Wertebasis, als auch subjektive Grenzen, die jeder Mensch für sich selbst definiert.

Für uns ist es wichtig, dass wir solidarisch aufeinander aufpassen und sicherstellen, dass die G19 ein Schutzraum für alle ist und bleibt. Wir ALLE sind verantwortlich, wenn es in der G19 zu gewaltvollem Verhalten kommt. Gewaltvolles Verhalten ist dabei nicht immer offen sichtbar, steht immer im Kontext und kann unterschiedlich gedeutet werden. Wir ALLE stehen in der Verantwortung uns diesem Thema anzunehmen, gewaltvolles Verhalten nicht zu tolerieren, uns an den Bedürfnissen betroffener Menschen zu orientieren und einen sichereren Ort zu schaffen. Das kann vieles heißen:

* Auf problematisches Verhalten hinweisen, darauf reagieren
* Unser eigenes Verhalten kritisch reflektieren und verändern
* Nachfragen, wenn wir uns unsicher sind
* Menschen ihre Grenzen SELBST setzen lassen statt sie für andere zu definieren
*Uns gegenseitig darin bestärken/ unterstützen unsere Grenzen zu kommunizieren, auch wenn das manchmal schwer ist
*Uns daran zu halten, wenn Menschen Grenzen aussprechen.
* Nein heißt Nein. Kein Nein heißt nicht Ja. Ein Ja kann sich auch verändern oder zurückgezogen werden.
* Gesellschaftliche Unterdrückungs- und Diskriminierungslinien erkennen, anerkennen, uns darüber weiterbilden und dagegen vorgehen.
* Kritik an- und ernstnehmen
* Feedback geben und einholen
 
Wir behalten es uns vor, Menschen, die sich offensiv und uneinsichtig gegen unsere Werte und Regeln wenden, rauszuschmeißen oder ein Hausverbot zu erteilen.

2. Regeln
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben wir als G19 beschlossen, einige Regeln zu vereinbaren. Diese Regeln sind nicht in Stein gemeißelt und werden stetig reflektiert und ggfls. angepasst. Das heißt konkret: Im Hausplenum können Regeln gemeinsam diskutiert, verändert oder abgeschafft werden. Jeder Mensch ist eingeladen sich in diesem Prozess einzubringen und die Sinnhaftigkeit von Regeln zu überdenken, nicht aber unsere Werte. 

Zugang zur G19 und Raumnutzung: Da wir in der G19 nur einen Raum zur Verfügung haben und viele verschiedene Bedürfnisse berücksichtigen wollen, versuchen wir die Nutzung der G19 zu strukturieren.  ​​Dafür haben wir bisher drei Nutzungsphasen differenziert, die uns und allen Menschen vor Ort eine Orientierungshilfe bietet:
1) ​​​​Explizite Zeiträume, in denen alle Menschen kommen können. Darunter fallen Veranstaltungen, unsere Sprechstunde bzw. der offener Freitag.
2) Regelmäßige Zeiträume, in diesen ist der Raum nur bestimmten Menschen zugänglich, z.B. für regelmäßige Gruppentreffen oder angemeldete Termine. Wenn ihr den Raum nutzen möchtet, kontaktiert uns gerne in der offenen Sprechsstunde oder per Mail: g19@immerda.ch und besucht unser Hausplenum.
3) Undefinierte Zeiten, diese halten wir frei für Aktivitäten von engagierten Menschen des Hauses die sich an den Werten und Hausregeln orientieren (z.B.: Werkeln, Renovieren, Gärtnern, Infrastruktur). Um sich dabei gut absprechen zu können, nutzen wir ein Pad um die Nutzungsphasen einzutragen.  

Lautstärke ab 22 Uhr: Aus Rücksicht auf die Nachbar*innen ist die Lautstärke ab 22 Uhr vor und hinter dem Haus auf ein Minimalmaß zu reduzieren. Wenn dies nicht sichergestellt werden kann, gehen wir in das Haus oder suchen uns einen anderen Ort.

Konsum: Wir befinden uns zur Zeit im Prozess der Erarbeitung eines Konsum-Konzepts, dass sich mit den Vor- und Nachteilen von Alkoholkonsum im Haus auseinandersetzt. Grundsätzlich gilt, dass Menschen beim Konsum von Alkohol sich achtsam und sensibel gegenüber anderen Menschen verhalten sollen. Für den Konsum von anderen Drogen halten wir gewisse Strukturen für notwendig, die wir nicht stellen können. Daher ist der Konsum von anderen Drogen hier nicht möglich.

Rauchen:Im Haus wird nicht geraucht. Wer vor oder hinter dem Haus raucht, fragt vorher umstehende Menschen, ob das für sie in Ordnung ist und achtet darauf dass keine Kinder in direkter Umgebung sind.

Hausverbote: Hausverbote sind das letzte Mittel, wenn mit Menschen kein konstruktiver Umgang in Bezug auf grenzüberschreitende Verhaltensweisen mehr möglich ist.

3. Organisations- und Prozesstruktur
Hausplenum und AGs: Organisiert sind wir in unterschiedlichen AGs, die zu Themen wie beispielsweise Awareness oder Vernetzung arbeiten, oder den Raum auf verschiedene Weise nutzen.
Unser gemeinsamer Knotenpunkt ist das Hausplenum, welches größtmögliche Transparenz, Kommunikation und eine horizontale Organisierung ermöglichen soll. Hier informieren wir uns gegenseitig darüber was gerade so abgeht und an was die unterschiedlichen AGs arbeiten. Außerdem werden gemeinsam im Konsens-Verfahren Entscheidungen zum Beispiel zur Raumnutzung getroffen. Das Hausplenum ist auch der Ort für Menschen, die sich in die G19 einbringen, den Raum nutzen, in bestehenden AGs mitmachen, oder neue gründen wollen.

Mitmachen: Wir freuen uns über alle Menschen, die sich im Haus organisieren und einbringen wollen. Es gibt immer viel zu tun, zu renovieren und zu gestalten. Wenn du dich  im Hausprozess einbringen möchtest, so komm zuerst einmal in die offene Sprechstunde (immer freitags von 15-17Uhr). Hier kannst du Kontakt zu Menschen, die schon länger dabei sind, bekommen. Wir helfen dir bei der Orientierung im Haus, wie wir uns organisieren und Entscheidungen treffen. *Bitte komm zuerst in die Sprechstunde und nicht direkt ins Hausplenum!*

Raum- und Veranstaltungsanfragen: Wenn du dich mit deiner Grupper regelmäßig in der G19 treffen möchtest oder eine einmalige Veranstaltung planst, dann komm in die Sprechstunde oder schreib eine Mail.

Fußnoten:
1: Rassismus: Diskriminierung von Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale, v.a. der Hautfarbe.
2: Antisemitismus: Diskriminierung von Menschen jüdischen Glaubens.
3: Antifeminismus: Ablehnung der weiblichen Emanzipationsbewegung und ihrer Werte.
4: Sexismus: Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
5: Queerfeindlichkeit: Diskriminierung von LGBTIQA+ Menschen.
6: Ableismus: Diskriminierung von behinderten Menschen.
7: Faschismus: Von Benito Mussolini in Italien 1922-45 errichtetes Herrschaftssystem. Meint heutzutage eine nach dem Führerprinzip organisierte, nationalistische, antidemokratische und rechtsradikale Ideologie.